Der Sklaverei entkommen

Zwei an Ketten gebundene Sklaven (Darstellung auf dem Sockel einer Säule. AO: Landesmuseum Mainz, Inv. Nr.: S 269)

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weltweit haben das Leben von Sklaven in der Antike erforscht. An der Mainzer Akademie liefen die Fäden zusammen.

Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurden zahlreiche Silberschalen für die Göttin Athena in deren Heiligtum auf der Athener Akropolis gestiftet. Sie trugen kurze Aufschriften, die eine Freilassung dokumentierten. Später waren die Schalen eingeschmolzen, die Texte aber auf Inschriftensteine übertragen worden. Einer der Einträge lautet: »Philon, Schreiber, wohnhaft in Thorikos, freigesprochen vom (Herrn) Pherekleides, Sohn des Pherekles, aus dem Dorf Perithoidai. Rhodia, Wollweberin, wohnhaft in Thorikos, freigesprochen vom (Herrn) Pherekleides, Sohn des Pherekles, aus dem Dorf Perithoidai.« Ergänzt sind die Einträge stets mit der Angabe: »Eine Opferschale im Wert von 100 Drachmen.« Die Freilassung fand in Form eines Scheinprozesses statt: Der Herr klagte seinen Sklaven an, vereinbarte Dienste nicht erfüllt zu haben, erschien aber nicht zum Prozess. Damit waren die Sklaven von allen weiteren Diensten entbunden und galten als Freigelassene. Aus diesem Anlass wurde die Schale der Göttin Athena geweiht.

Als Kriegsgefangene oder durch Menschenhandel waren die in den Inschriften genannten Personen in Sklaverei geraten. Auch wegen nicht zurückgezahlter Schulden konnten freie Personen ergriffen und in die Sklaverei verkauft werden. Verfügten sie über handwerkliche Fähigkeiten (oder waren – wie Philon – des Schreibens kundig), übten sie häufig einen Beruf aus, bei dem sie trotz der Versklavung eine gewisse Freizügigkeit genossen. Sie wohnten abseits ihres Herrn, verkauften ihre hergestellten Produkte und mussten dem Herrn dafür täglich zwei Obolen (ein halber Tageslohn) vom Gewinn abtreten. Der aus der Tätigkeit – bei Frauen war es oft Webarbeit – erzielte Gewinn erlaubte es ihnen, Geld anzusparen, um sich schlussendlich freikaufen zu können. In den Inschriften sind Sklaven als Gerber, Schmiede, Schuhflicker und Sandalenmacher, als Siegelringschneider und Leimkocher, als Transporteure, Barbiere und Köche, als Verkäufer von Brot, Hülsenfrüchten, Käse und Salzfisch, als Woll- oder Hanfverkäufer genannt; Sklavinnen als Honig-, Sesam-, Salben- und Weihrauchverkäuferinnen. Da die Versklavten einen großen Teil ihres Lebens in Attika verbracht hatten, blieben sie nach der Freilassung in der Regel am Ort – die Inschriften weisen stets eines der attischen Dörfer oder einen Athener Stadtteil aus. War der Herr mit der Arbeit seines Sklaven zufrieden, gestattete er ihm, mit einer Sklavin seines Hauses in eheähnlicher Verbindung zusammenzuleben, so wie es bei Philon und Rhodia der Fall war. Die Chance, das Bürgerrecht zu erhalten, hatten die Freigelassenen indes nicht.

Die Freilassung gilt als Charakteristikum der antiken griechischen und römischen Sklaverei. Doch die durch die Silberschalen und Inschriften dokumentierten Freilassungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur eine begünstigte Gruppe von Sklavinnen und Sklaven die Möglichkeit hatte, einen Weg aus der Sklaverei zu finden. Sklaven, die in der Landwirtschaft tätig waren oder gar unter sehr harten Bedingungen in den Silbergruben im Süden Attikas arbeiten mussten, hatten keine Aussicht, dem Schicksal der Versklavung durch Freilassung zu entkommen.

Im Projekt ›Forschungen zur antiken Sklaverei‹ wurden an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur intensiv die Lebensbedingungen von Sklavinnen und Sklaven in der Antike, ihre Darstellung in der antiken Literatur und Kunst sowie die Einstellungen von antiken Philosophen und des antiken Christentums zur Sklaverei erforscht. Die Ergebnisse sind in einem dreibändigen Lexikon zur antiken Sklaverei, in einem Corpus der römischen Rechtsquellen zur Sklaverei und in vielen weiteren Publikationen vorgelegt worden.

(Winfried Schmitz)

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