Frauen und Frömmigkeit im 17. Jahrhundert – das Beispiel Anna Ovena Hoyers

Portrait der deutschen Dichterin Anna Ovena Hoyers (ca. 1630) [Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei]

Heute kennt kaum jemand Anna Ovena Hoyers – zu ihren Lebzeiten war das anders: Wie viele Frauen trug sie mit ihren Schriften zur Ausbildung von Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit bei.

1. »Auff / auff Zion / Und schmück sich schon / Singe das Hosianna, / Fro(e)lich Psallier / Es singt mit dir / Hanns Ovens Tochter Anna.
2. Nun kompt das Lamb / Auß Davids stamb / Singe das Hosianna, / Will tro(e)sten dich / Des frewet sich / Hanns Ovens Tochter Anna.
12. Ihr mein drey So(e)hn / Macht laut getho(e)n / Singet das Hosianna / Ihr To(e)chter beid / Auch fro(e)lich seyd / Mit ewerer Mutter Anna.
15. Ru(e)hmet den Herrn / Stets nah` und fern / Singet das Hosianna, / In fro(e)lichkeit / Sein lob außbreitt / Hanns Ovens Tochter Anna.«
Anna Ovena Hoyers, Geistliche und Weltliche Poemata, hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Tübingen 1986 (Deutsche Neudrucke Reihe Barock 36), Faksimile, 216-219.

So heißt es in einem Lied mit insgesamt 16 Strophen, das die heute nahezu unbekannte Dichterin Anna Ovena Hoyers (1584-1655) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfasste. Das Lied steht beispielhaft für das vielfältige Engagement von Frauen im 16. und 17. Jahrhundert, die in entscheidender Weise evangelische Theologie und Frömmigkeit ihrer Zeit prägten.
Der Liedtext ist sprachlich einfach gehalten. Hoyers setzte sich darin selbst ein Denkmal: Jede der 16 Strophen endet mit ihrem Namen – Hans Ovens Tochter Anna. In der 12. Strophe fordert Hoyers ihre eigenen Kinder – drei Söhne und zwei Töchter – zum Mitsingen und Musizieren auf. Wahrscheinlich wurde das Lied im Rahmen der häuslichen musikalischen Andacht in Hoyers’ Familie gesungen. Die Szene, die im Hintergrund des Textes steht, stammt aus der Bibel: Die Sängerinnen und Sänger stehen am Straßenrand und singen das Hosianna, während Jesus, das »Lamm [Gottes] aus Davids Stamm« in Jerusalem einzieht (vgl. z.B. Mt 21,1-11). Im Neuen Testament beginnt mit dem Einzug Jesu in Jerusalem die Passionsgeschichte.
Wenn Hoyers und ihre Familie das Lied sangen, erinnerten sie sich an dieses Ereignis und die damit verbundene Hoffnung auf die Wiederkunft Christi am Ende aller Zeiten. Zugleich lobten sie Gott durch den Ruf »Hosianna«, der in jeder Strophe erklang. Bei allem Ernst, den die biblische Geschichte mit sich brachte, hatten die Sängerinnen und Sänger vermutlich auch viel Spaß mit dem etwas naiv klingenden Text und der wahrscheinlich eingängigen Melodie, die nicht überliefert ist: Jeder und jede konnte sofort mitsingen.
Als historische Quelle gibt das Lied Hinweise darauf, wie Frauen in der Frühen Neuzeit Frömmigkeit aktiv gestalteten: Das Lied zeigt beispielsweise, dass die religiöse Erziehung, die Andacht und das Musizieren im häuslichen Bereich ganz wesentlich in den Händen der Frauen – der Mütter – lag. Durch Gebete und Lieder in einfacher Sprache wurden Kinder von ihren Müttern mit biblischen und theologischen Inhalten vertraut gemacht. Frauen waren aber nicht nur Vermittlerinnen von religiösen Inhalten, das beweist Hoyers’ Lied ebenfalls: Sie schufen die Inhalte auch selbst. In nicht unerheblichem Maße schrieben und publizierten nämlich gerade Frauen Erbauungsliteratur, Gebet- und Gesangbücher. Diese kleine theologische Literatur wurde bisher von der Forschung nur selten ausgewertet – zu Unrecht. Denn mit dieser Literatur prägten Frauen evangelische Frömmigkeit und damit auch evangelische Theologie im 16. und 17. Jahrhundert in bisher kaum bekanntem Maße.

(Andrea Hofmann)

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